Kognition und Studium

Während der heutigen Vorlesung habe ich über den Zusammenhang zwischen kognitiven Fähigkeiten und Erfolg im Studium nachgedacht. Um bei einer Vorlesung gut mitzukommen, ist gewiss ein bestimmtes (je nach Vortragsstil und Inhalt unterschiedliches) Maß an kognitiven Fähigkeiten erforderlich. Aber es kann auch sein, dass man "wegpennt" und an Anderes denkt. Das hat nicht nur mit Müdigkeit zu tun, sondern auch mit den Dingen, mit denen man sich vorher gedanklich beschäftigt hat. Vielleicht ist es ein Fehler mancher Vortragenden zu glauben, jeder würde mitdenken.

Man merkt sich aus einer Vorlesung vieles, wenn man gut mitgekommen ist. Alles wird man sich wahrscheinlich aber nicht merken. Lücken wird man dort haben, wo man nicht aufgepasst hat. Zudem kann es sein, dass manchmal auf den Folien Dinge gezeigt werden, die im Vortrag selbst nicht gebracht wurden. Wenn man versucht, sich beides zu merken, wird man also an mehrere Dinge gleichzeitig denken müssen. Worauf das Hauptaugenmerk liegt, ist manchmal nicht klar.

Die Lücken wird man schwerlich füllen können, es sei denn, man hat die Vorlesung aufgenommen. Denn Mitschriften werden genauso lückenhaft sein. Ich persönlich schreibe nie in Vorlesungen mit. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man manchmal weniger gut mitkommt, wenn man mitschreiben muss - besonders, wenn auch Folien gezeigt werden. Es gibt Leute, die versuchen, alles mechanisch niederzuschreiben, anstatt mitzudenken, und die Mitschriften dann zu Hause zu lernen. Wenn man langsam im Denken ist, mag das wohl die bessere Alternative zum Zuhören und Mitdenken sein. Für mich würde diese Vorgangsweise nur einen unnötigen Zeit- und Arbeitsaufwand darstellen.

Eine Schwierigkeit im Studium besteht darin, dass der Prüfungsstoff manchmal nicht durch die Vorlesungen abgedeckt wird, obwohl eigentlich nur das geprüft werden sollte, was in der Vorlesung gebracht wurde. Das liegt zum Teil daran, dass Prüfer und Vortragende oft verschiedene Personen sind. Das bedeutet: Es kommt nicht nur auf kognitive Fähigkeiten an (kann man dem Vortrag gut folgen?), sondern man muss sich auch dann, wenn man sich alles aus der Vorlesung gemerkt hat, zu Hause hinsetzen und büffeln. Sonst riskiert man, dass man Lücken haben könnte, die einem bei der Prüfung zum Verhängnis werden könnten.

Um lernen zu können, muss ein gewisses Interesse vorhanden sein. Ich glaube, wenn einem etwas überhaupt nicht interessierte, dann könnte man es schlicht gar nicht lernen. Interesse ist nicht binär, sondern es gibt Graduierungen: Manches interessiert einen mehr, anderes weniger. Dementsprechend merkt man sich das eine sofort und das andere erst nach oftmaligem Wiederholen. Problematisch ist, wenn der Stoff einer Prüfung den Studierenden wenig interessiert.

Angeblich weiß man noch nicht, wie der Mensch denkt. Aber es gibt Modelle hierfür. Ich weiß nur, dass ich mich in einem gewissen Rahmen an der Uhrzeit orientiere. Zum Teil habe ich ein Zeitgefühl, aber mehr noch orientiere ich mich an Analog- und Digitaluhren in meiner Umgebung sowie am Grad der Helligkeit draußen. Ich habe einen Terminkalender, in dem steht, zu welchen Uhrzeiten ich an einem bestimmten Ort sein muss. Ansonsten dominiert bei mir das abstrakte Denken. Es scheint einen "Denkfluss" zu geben. Als ich nach der Vorlesung den Raum verließ, dachte ich mir: In erster Linie hat man Pläne - man weiß ungefähr, was man im Laufe des Tages noch alles tun will. In der Zwischenzeit beschäftigt man sich mit den Dingen, die einen interessieren. Von Zeit zu Zeit wird man abgelenkt, weil bestimmte Dinge die Aufmerksamkeit erregen. Der Mensch scheint oft auf der Suche nach Input zu sein. Eingabe, Verarbeitung, Ausgabe: Der Mensch ist einem Rechner nicht unähnlich. Ich erinnere mich, irgend welche Sachen gesehen zu haben, die mich dazu brachten, darüber nachzudenken. Gleichzeitig begab ich mich aufs Klo. Dann stellte ich mir die Frage: Woran denkt ein Mensch, wenn er nichts Konkretes hat, worüber er nachdenken kann? Worüber denke ich gerade? Ach ja - da fiel es mir ein, dass ich ja gerade über den menschlichen Denkvorgang nachgedacht hatte. Anscheinend war diese Information noch im Kurzzeitspeicher enthalten. Ob es wohl einen Stack gibt, in welchem die "Denk-Tasks" abgelegt werden? Aber offensichtlich kann man - oder zumindest ich - gleichzeitig an der Durchführung von Plänen und am Nachdenken über bestimmte Dinge arbeiten. Das ist echtes Multitasking, nicht Nacheinanderausführen von einzelnen Prozessen. Und erst nach dieser Erkenntnis wurde mir bewusst, dass ich nebenbei die Melodie eines Liedes im Kopf hatte...

Lehrbücher sind oft enzyklopädischen Charakters. Der oftmals stark komprimierte, mit Fakten durchsetzte Stil ist ein Armutszeugnis, denn das Lernen wird dadurch nicht leicht gemacht. Am wenigsten mag ich Stichwortlisten. Denn diese müssen Wort für Wort beherrscht werden - da gibt es nichts zum Auslassen. Und zum Nachdenken regen sie auch nicht wirklich an. Da geht relativ viel Zeit drauf. Ich glaube, die Evolution der Lehrbücher sei erst am Anfang. Das Problem ist, dass sie von Leuten geschrieben werden, die sich bereits relativ gut mit der Materie auskennen und nicht mehr im Lernprozess stehen. Man muss versuchen sich in das Denken des Lernenden hineinzuversetzen und das Lehrbuch diesen Denkprozess entsprechend gestalten. Das ist sicherlich nur mit Einschränkungen möglich, weil verschiedene Menschen abhängig von ihren Interessen und ihrem Vorwissen ja unterschiedlich denken. Prinzipiell stellt sich jedoch die Frage: Muss es unbedingt soviel Text sein? Bzw. Text und lose Abbildungen? Warum nicht Flussdiagramme miteinbinden? Und vom Stil her versuchen, sich einem Roman anzunähern?

Als ich mit dem Studium begann, war es 2001. Das war auch das Jahr, in dem Wikipedia ins Netz ging. Damals war die Seite noch klein und weitgehend unbekannt, viele Artikel waren noch nicht geschrieben worden. Das mag wohl Grund sein, warum ich am Anfang meines Studiums noch nicht davon Gebrauch machte. Aber wenn ich mein Studium jetzt begänne, wäre das wohl anders. Der Stil ist meistens relativ gut, und man findet vieles darin.

Ich glaube sogar: Wenn jemand mit Internet und Online-Enzyklopädien wie Wikipedia "aufwächst", dann wird er auch eine etwas andere Einstellung zum Studieren haben, als es viele bisher haben. Denn er wird schon vor dem Studium in der Lage sein, ohne Umstände auf aktuelles und fundiertes Wissen zuzugreifen. Möglicherweise wird das Allgemeinwissen der Menschen jüngerer Generationen größer sein als das der Angehörigen älterer Generationen, als diese in deren Alter waren. Dann wird das Studium vielleicht noch mehr als Berufsvor- bzw. -ausbildung denn als reiner Wissenserwerb gelten (wobei freilich schon jetzt nur wenige rein aus Interesse an der Wissenschaft studieren, und das wird auch in der Vergangenheit nicht anders gewesen sein).

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