Die Entwicklung der politischen Systeme und die Rolle der Religion

Folgendes habe ich am 13. August 2009 in die studivz-Gruppe "Auch Atheismus ist eine Religion!" gepostet. Ich denke, meine Gedanken sind zu interessant, als dass man sie nur in dieser kleinen studivz-Gruppe versumpfen lassen sollte.

Dass Atheismus nicht humaner ist als Religion und dass im vergangenen Jahrhundert besonders viele Verbrechen an der Menschlichkeit durch atheistische Regimes verübt worden, ist richtig. 

Dazu hat vor einigen Monaten übrigens auch ein Geistlicher eine Äußerung gemacht, die durch die Medien geisterte.

Ich habe mir vor kurzem darüber Gedanken gemacht, wie unsere politischen Systeme überhaupt zu Stande gekommen sind. Lass' mich kurz schildern, was mir da durch den Kopf gegangen ist. 

Meistens unterscheidet man ja zwischen "linken" und "rechten" Parteien bzw. Politikern. Dass diese Klassifikation aber sehr unzulänglich ist, ist auch vielen bewusst. Schon seit längerem gibt es im Internet eine Website, http://politicalcompass.org/. Diese Website verwendet eine zweidimensionale Skala: links vs. rechts sowie autoritär bzw. libertär. Dieses Koordinatensystem lässt schon etwas mehr Rückschlüsse über die verschiedenen politischen Richtungen zu. 

Grundsätzlich liegt jeder politischen Ideologie eine Vorstellung zugrunde, wie Menschen miteinander zusammenleben. Wie sieht es nun im Detail aus? 

Fangen wir mit dem rechtslibertären Spektrum an: Wie würde das Leben der Menschen so aussehen, wenn sich die Utopien der Politiker aus diesem Spektrum durchsetzen ließen? (Es gibt nur wenige bekannte Politiker in diesem Spektrum; der Bekannteste ist sicherlich Ron Paul, Kandidat für die Präsidentschaft der USA 2008. Meines Wissens ist aber in keinem einzigen Land der Erde ein Politiker an der Macht, der diesem Spektrum zuzuordnen wäre.) Nun ja, es wäre wohl ähnlich dem Leben des ersten Menschen, falls es diesen überhaupt jemals gegeben hat. Der Mensch wäre auf sich alleine gestellt, er könnte tun und lassen, was er will, jedoch müsste er sich selbst darum kümmern, sich am Leben zu halten. Wie sähe es nun aus, wenn es in einem solchen System mehrere Menschen auf der Welt gäbe? Wahrscheinlich würde zunächst jeder für sich dahinleben. Jedoch: Nach den Vorstellungen der Rechtslibertären würde zumindest ein Teil der Menschen sehr wohl Kontakt aufnehmen und miteinander kommunizieren. Es würde sich herausstellen, dass manche Menschen möglicherweise über Fähigkeiten und Güter verfügen, die andere nicht haben, die ihnen aber nützlich sein könnten. Nach der Idealvorstellung der Rechtslibertären käme es dann zum Tauschhandel. Die logische Weiterentwicklung wären die Entstehung einer auf Geld basierenden Marktwirtschaft und der Freihandel. 

Nun ist diese Utopie aber mit gewissen Problemen verbunden: Denn es könnte Menschen geben, die nicht in der Lage wären, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, und sich daher in Abhängigkeit anderer Menschen begeben müssten. Diese Menschen hätten dann Macht über ihre Mitmenschen. Auf diese Weise würden sich autoritäre Strukturen ausbilden. 

Selbst wenn also die Gesamtgesellschaft libertär wäre, so würden zumindest Teile der Gesellschaft autoritär organisiert sein. 

Die Menschen, die über andere Menschen Macht hätten, könnten deren ganzes Leben bestimmen, ihnen vorschreiben, was sie tun sollen und was sie nicht tun dürfen, usw. Sie hätten auch die Möglichkeit, sie sterben zu lassen. 

Kurz: In libertären Gesellschaften würden sich, zumindest in kleinerem Rahmen, auch autoritäre Strukturen bilden. 

Damit hätten wir den Übergang ins rechtsautoritäre Spektrum. In diesem Spektrum wären nicht nur kleine Bereiche der Gesellschaft autoritär organisiert, sondern größere Einheiten, die man "Staaten" nennen könnte. Zum Teil mag es nicht ganz sinnlos sein, wenn sich größere Strukturen bilden. Was ich vorhin nicht gesagt habe, ist, dass es in einem rechtslibertären System auch zu Konkurrenzkämpfen kommen könnte, etwa wenn sich zwei Individuen auf die Erzeugung desselben Gutes spezialisiert hätten. Dies könnte dann auch zu Versuchen führen, die Konkurrenz auszuschalten, notfalls mit Gewalt. Um solche Gewaltexzesse zu verhindern, bedarf es einer übergeordneten Autorität, die verbindliche Regeln vorschreibt und die Verletzung dieser Regeln sanktioniert. 

Jetzt sind wir bei der Religion angelangt. Das Problem ist: In einer hierarchisch organisierten autoritären Gesellschaft kann jede Instanz nur von übergeordneten Instanzen kontrolliert werden. Wer kontrolliert aber die oberste Instanz? Die Antwort ist ganz klar: Gott. Indem sich die Herrscher auf Gott berufen und bekunden, sich an die Regeln zu halten, die ihnen ihrem Glauben nach Gott vorgeschrieben hat (etwa die zehn Gebote des Christentums), wird das Volk in Sicherheit gewogen: Gott wacht über uns; unsere Herrscher fühlen sich Gott verpflichtet; wir brauchen uns keine Sorgen zu machen, vor staatlicher Willkür keine Angst zu haben. 

Religion hat also (auch) eine politische Funktion, und zwar eine sehr wichtige politische Funktion. Eigentlich könnte man die Religion als das Fundament des "linken" Spektrums betrachten. Die "Linksautoritären" meinen, es solle einen Staat geben, der zwar den Bürgern vorschreibt, wie sie leben sollen, jedoch auch verpflichtet ist, für die Bürger zu sorgen. Der Glaube daran, dass es einen Gott gibt, dem das Wohlergehen der Menschen am Herzen liegt, mag die Grundlage einer solchen Philosophie sein. 

Freilich ist alles "Linke" reine Utopie. Alle Versuche, linksautoritäre (sozialistische) Systeme zu implementieren, haben stets zu rechtsautoritären Systemen geführt, wie die Geschichte zeigt. Und ein linkslibertäres System, wo die Menschen leben könnten, wie sie wollten, und versorgt wären, ohne sich anstrengen zu müssen, herrscht nur im Schlaraffenland. Außerdem könnten sich auch in einem solchen System autoritäre Strukturen ausbilden. 

Ich wollte nur sagen, dass dieser Bischof durchaus recht gehabt haben könnte mit der Aussage, dass "praktizierter Atheismus" an manchen Verbrechen gegen die Menschlichkeit Mitschuld trägt.

Ich selbst bezeichne mich, was die Religion angeht, als "Apatheist", weil ich zwar nicht von der Existenz eines Gottes überzeugt bin, aber auch nicht vom Gegenteil.

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