"Ein kleiner Wissenschaftler"

Zu Beginn meiner Gymnasialzeit meinte meine damals neue Klassenvorständin gegenüber meiner Mutter: "Ihr Sohn ist ein kleiner Wissenschaftler." Das war positiv gemeint, und diese Bemerkung hat mich gefreut, weil ich tatsächlich schon damals eine Hochschulkarriere anstrebte. Dass "little professor" im angelsächsischen Sprachraum auch eine gängige (liebevolle) Bezeichnung für Kinder mit Asperger-Autismus ist, weil diese von ihrem Habitus her an Professoren erinnern (selbst wenn sie nicht vorhaben, eines Tages solche zu werden), ist eine andere Sache. Bei mir war es jedenfalls so, dass ich mich schon - beziehungsweise gerade - in jungen Jahren bemüht habe, das Auftreten eines Gelehrten zu haben.

Dazu zählte für mich vor allem, keine Fehler zu machen. Denn ich war der Meinung: Alles, was ein Gelehrter sagt, muss hieb- und stichfest sein. So dachte ich zumindest damals.

Die eine Art von Fehlern, die Menschen häufig machen, sind Logikfehler. Mir kam meine Begabung im logischen Denken zu Gute - sie half mir, solche Fehler zu vermeiden. Wenn mir ab und zu aber dennoch Denkfehler unterliefen und ich auf sie aufmerksam gemacht wurde oder selbst darauf kam, brach ich regelmäßig in Tränen aus.

Die andere Art von Fehlern ist es, falsche Dinge aufgrund Nicht- oder Falschwissens zu behaupten. Ich persönlich schämte mich jedenfalls nie zu sagen: "Ich weiß es nicht." Ich fand es immer besser zu sagen, etwas nicht zu wissen, als zu riskieren, etwas Falsches zu behaupten. Erst im Studium habe ich gelernt, dass diese Strategie in die Hose gehen kann. Im Großen Sezierkurs, in dem man viel Neues innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes lernen musste, war ich mir oft unsicher, weil ich von verschiedenen Dingen glaubte, über sie etwas gelesen zu haben, aber das Wissen in meinem Gehirn sich noch nicht verfestigt hatte. Erst im Verlauf des Kurses, nachdem ich schon viele schlechte Noten kassiert hatte, lernte ich, dass es in Prüfungen meistens besser ist, etwas zu sagen, auch wenn man sich nicht ganz sicher ist, als gar nichts zu sagen. Moralisch gesehen, ist das vielleicht bedenklich, aber im Studium fährt man garantiert besser damit.

Erst noch später begriff ich dann, dass es über viele Dinge entweder kein objektives Wahr oder Falsch gibt oder dieses zumindest (noch) nicht der Fachwelt bekannt ist und dass es durchaus legitim ist, über verschiedene Dinge eine eigene Meinung zu haben, die nicht unbedingt mit der Meinung der Mehrheit übereinstimmen muss.

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