Hochbegabte in der Wissenschaft

Ich habe neulich viele alte Ausgaben der Vereinszeitschrift von Mensa Österreich gelesen und festgestellt, dass es eine Menge Artikel gegeben hat, die sich mit dem Thema Intelligenz beziehungsweise Hochbegabung beschäftigt haben. Mir ist dabei aber aufgefallen, dass keiner der Artikel der Beziehung zwischen Hochbegabung und wissenschaftlichem Arbeiten gewidmet war. Der folgende Artikel wird sich dieses Themas annehmen. Dabei wird dieser Artikel eher persönlich gefärbt sein, weil ich zu wenige tatsächlich getestete Hochbegabte kenne, die etwas mit Wissenschaft zu tun haben.

In unserer Gesellschaft ist es verbreitet, Wissenschaftlern, insbesondere Naturwissenschaftlern, einen besonders hohen Intelligenzgrad zuzuschreiben. Vor allem Genies wie Einstein, die etwas Neues entdeckt oder erfunden haben, das relativ weitreichende Konsequenzen für verschiedene Aspekte des menschlichen Lebens gehabt hat, wird ein äußerst hoher IQ beigemessen. Dass man eine hohe Intelligenz braucht, um in die Forschung zu gehen bzw. in der Forschung erfolgreich zu sein, rechtfertigt, rein logisch betrachtet, nicht die Forderung, dass alle besonders Begabten in die Forschung gehen sollten. Man trifft diese Forderung aber häufig an, etwa im Forum von Spiegel Online, wo einem Informatiker mit einem angeblichen IQ von über 190 (über den Spiegel Online berichtet hatte) zum Vorwurf gemacht wurde, dass er nur als Software-Entwickler für eine Versicherungsgesellschaft arbeitet und nicht in der Forschung tätig ist. Es wurde ihm sogar abgesprochen, einen IQ von 190 haben zu können, weil er nicht Forscher ist. Das lässt also auch auf eine gewisse Erwartungshaltung gegenüber der Gesellschaft schließen, dass diejenigen, die einem bestimmten Beruf nachgehen, auch ein bestimmtes Intelligenzniveau haben müssten.

Bei mir war es so, dass von Seiten meiner Eltern immer gewünscht wurde, dass ich Matura machen, danach an einer Universität studieren und irgendwann mein Studium abschließen würde. Was ich dann mit dem Studienabschluss anfinge, bliebe mir überlassen. In meinem Fall bestand aber schon seit Kindheitstagen der Wunsch, Wissenschaftler zu werden, wobei mich eigentlich die Lehre noch mehr als die Forschung reizte. Es war also klar, dass ich nach bestandener Matura studieren würde - welches Fach, war aber offen. Da ich mich nach der Matura nicht entscheiden konnte, folgte ich zunächst den Vorstellungen meiner Eltern und studierte Medizin, freilich ohne jegliches Interesse an der praktischen Tätigkeit eines Arztes zu haben, aber stets mit großem Interesse an der biologisch-medizinischen (Grundlagen-)Forschung.

Wenn man sich ansieht, was hier in Österreich unter dem Stichwort "Begabtenförderung" angeboten wird, dann liegt der Schwerpunkt, soweit ich Einblick habe, eindeutig in den Naturwissenschaften. Der Verein Science Pool VIF beispielsweise, der von einigen ehemaligen Mensa-Mitgliedern gegründet wurde, bietet sozusagen "Nachhilfeunterricht" auf hohem Niveau in Physik, Chemie, Mathematik und verwandten Gebieten an. So gesehen, hätte eigentlich jeder erwachsene Hochbegabte, der nicht in einem naturwissenschaftlichen Bereich arbeitet, seinen Beruf verfehlt.

Mit dem Medizinstudium habe ich in dieser Beziehung Glück gehabt, denn das Medizinstudium ist ja im Prinzip doch vor allem ein naturwissenschaftliches Studium, auch wenn es einige geisteswissenschaftliche und sehr viele praktisch-handwerkliche Elemente enthält. Aber ich gehöre zumindest innerhalb der Mensa zu einer Minderheit. Die meisten Mensaner haben nicht das aus ihrem Leben gemacht, was die Gesellschaft (anscheinend) von Hochbegabten erwartet. Manche haben ihre Schullaufbahn sogar vor der Matura beendet. Die wenigsten Akademiker innerhalb der Mensa sind zudem in der Forschung tätig, eher arbeiten sie als kaufmännische oder technische Angestellte in der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Dienst und gehen Aktivitäten wie Management, Schulungen und diversen Dienstleistungen nach. Natürlich ist Mensa nicht unbedingt für die Gesamtheit der Hochbegabten dieses Landes repräsentativ, aber über ein besseres Sample als Mensa verfüge ich nicht.

Wenn so viele Hochbegabte nicht in der Forschung tätig sind, was ist da schief gelaufen? Wurden die Hochbegabten vielleicht nicht rechtzeitig als hochbegabt erkannt und deswegen im langwierigen Selektionsprozess, den unser Bildungssystem darstellt, vorzeitig "aussortiert"? Oder ist es vielleicht zum Teil auch so, dass die Hochbegabten sich einfach nicht für diese Dinge interessiert haben, von denen normale Leute glauben, dass sie für Hochbegabte besonders reizvoll wären? Vielleicht ist auch einfach die Nachfrage an hochbegabten Mitarbeitern in der Wissenschaft gar nicht so groß, wie in den Medien immer behauptet wird. Gerade letztere Möglichkeit erscheint mir sehr plausibel.

An den Universitäten hat mich jedenfalls niemand je nach meinem Intelligenzquotienten gefragt. Auch nicht nach meinen Schulnoten oder nach den Noten im Maturazeugnis. Einigen Professoren und Dozenten bin ich im Lehrbetrieb aufgefallen, weil ich fachlich gut war, zum Beispiel am Anfang des Medizinstudiums in Chemie, Physik und Biologie oder in meinem Zweitstudium (Informatik) in fortgeschrittener theoretischer Informatik. Dennoch habe ich keine spezielle Förderung durch einzelne Universitätsmitarbeiter erhalten. Ich musste mich genauso durchbeißen und hart arbeiten wie jeder andere Studierende auch. Gerade im Medizinstudium hat Intelligenz (beziehungsweise das, was durch den Intelligenztest gemessen wird) nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Im Vordergrund stand das Auswendiglernen von Fakten, von denen nur ein kleiner Teil für das Verständnis der Materie wichtig war. Nie wurde ich auch nur persönlich angesprochen und eingeladen, bereits während des Studiums an einem Forschungsprojekt mitzuarbeiten (ich hatte ja geglaubt, man würde händeringend nach Studierenden mit hohem IQ suchen, damit sie mithelfen könnten, die großen Probleme der Menschheit zu lösen, die für durchschnittlich intelligente Menschen zu schwierig wären). Dass ich während des Studiums einen Monat lang in einem Forschungslabor mitarbeiten durfte, ergab sich bloß durch Zufall.

Insgesamt bin ich der Meinung, dass extrem Hochbegabte ohnehin in erster Linie für theoretische Arbeiten geeignet wären, wie etwa, neue Hypothesen und Erklärungsmodelle zu entwickeln und sie auf logische Konsistenz zu überprüfen. Für das praktische Durchführen von Experimenten braucht man gar nicht so viel Hirn. Und in der Medizin ist die Forschung sowieso eher praktisch ausgerichtet. Da geht es nicht allzu sehr um Theorie. So gesehen, wären vielleicht Fächer wie Mathematik, Informatik, Physik oder Philosophie für Hochbegabte eher geeignet.

Jedenfalls meine ich, dass die Forderung, alle Hochbegabten sollten in die Forschung gehen, nicht gerechtfertigt ist. Eine wissenschaftliche Karriere sollte man meiner Meinung nach allenfalls dann anstreben, wenn einen ein bestimmter Wissenschaftszweig wirklich interessiert. Ich halte auch die Annahme für gerechtfertigt, dass ohnehin nur die, die wirklich Interesse an einem bestimmten Fach haben, in der Wissenschaft etwas im positiven Sinne Weltbewegendes erreichen könnten. Alle Anderen sollten, unabhängig von der Begabung, einfach den Beruf anstreben, von dem sie glauben, dass er sie glücklich machen würde, und ihr Leben, soweit möglich, genießen.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

The Demoscene

Digital Art Natives

Autobiographical Sketch