Über den Absolutheitsanspruch

Was mich immer wieder ärgert, ist, wenn ich einer Person begegne, die in weltanschaulichen Fragestellungen einen Absolutheitsanspruch erhebt. Hier in Österreich gibt es nicht wenige Leute dieser Art. Ich vermute, dass sie durch ihre Erziehung weltanschaulich geprägt wurden und nie gewisse Dinge, die ihnen von Altvorderen als "Wahrheiten" vermittelt wurden, ernsthaft in Frage gestellt haben. Mich wundert es schon, wenn jemand - noch dazu, wenn diese Person in einem Intelligenztest gut abgeschnitten hat - bestimmte Ansichten für absolut wahr hält und nicht erkennt, dass es sich um subjektive Ansichten handelt, über die man (zumindest nach aktuellem Stand der Wissenschaft - wobei natürlich auch der Anspruch der Wissenschaft auf Wahrheit in Frage zu stellen ist) kein objektives Urteil abgeben kann.

Um ein konkretes Beispiel zu bringen, werde ich über eine Bekannte reden, die früher im Verein Mensa Mitglied war. Beruflich ist sie Didaktikerin und fördert insbesondere hochbegabte Kinder und Jugendliche. In den Sechziger Jahren in eine eher bildungsferne Familie geboren, setzte sie durch, dass sie nach dem Hauptschulabschluss ein Oberstufenrealgymnasium besuchen durfte; danach studierte sie an diversen Universitäten und schloss zwei Studien mit dem Magistergrad ab. Sie lernte einen offenbar recht wohlhabenden Mann aus streng konservativer Familie kennen, heiratete ihn und bekam zwei Kinder, die ihre Schulpflicht in katholischen Eliteschulen erfüllten. Der Mann machte in der Wirtschaft Karriere, arbeitete sich zum Generaldirektor hoch; so hatte sie keine finanzielle Sorgen und konnte sich ihrer Berufung, der Förderung hochbegabter Kinder, widmen.

Ob sie ihre Weltanschauung nun durch die Eltern erhalten hat oder eher durch ihren Mann, sei dahingestellt. (Auch beziehungsweise gerade unter Bildungsfernen gibt es Konservative.) Insgesamt kann man jedenfalls sagen, dass es ihr in ihrem Leben sehr um sozialen Aufstieg, unter anderem durch Bildung, gegangen ist. Was ich nun als Beispiel für die Geisteshaltung bringen möchte, die ich in diesem Aufsatz kritisiere, ist eine Äußerung, die sie in einer der wenigen persönlichen Begegnungen, die ich mit ihr hatte, getätigt hat. Das Gesprächsthema war ein anderes, junges Mensa-Mitglied; über dieses meinte sie: "Er ist witzig-kreativ, aber er weiß noch nicht, worauf es im Leben ankommt." Gute Frau, worauf kommt es denn im Leben an?

Jeder Mensch ist anders. Es ist schon klar, dass jeder das Bestreben hat, genug Geld zu verdienen, um sich das Nötigste zu leisten - Nahrung, Wohnen und sonstige Grundbedürfnisse. Aber alles darüber hinaus ist individuell verschieden. So gesehen, ist es unzulässig, den Anspruch zu erheben, absolut zu wissen, was jemand in seinem Leben erreichen will.

Was die berufliche Tätigkeit dieser Frau angeht, lässt dieses Symptom einer Geisteshaltung nur Übles erahnen: Gerade weil sie sich auf die Förderung hochbegabter Kinder und Jugendlicher spezialisiert hat, ist anzunehmen, dass sie auch bestimmte Vorstellungen hat, welche Ziele hochbegabte Menschen anzustreben und welche Leistungen sie zu erbringen haben. Dabei ist Hochbegabung ja nichts anderes als eine Fähigkeit, die durch den Intelligenztest gemessen wird, aber mit zahlreichen weiteren Persönlichkeitsfaktoren weitgehend unkorreliert, und die Persönlichkeit hat den wesentlich größeren Einfluss auf die individuellen Ziele.

In der FAZ gab es vor kurzem einen Artikel über die österreichische Gesellschaft, in dem behauptet wurde, es gäbe in diesem Land vor allem zwei Arten von Menschen, nämlich Rote und Schwarze. Als einer, der nicht eindeutig einem dieser beiden Lager zuzuordnen ist, bin ich wohl so etwas wie ein Außerirdischer. Wenn, dann stehe ich, von meiner familiären Herkunft her betrachtet, den Roten näher. (Bei intensiver Selbstbeobachtung habe ich aber bemerkt, dass ich den Suppenlöffel meinem Mund tatsächlich meistens von der Seite her zuführe, wie es laut diesem Artikel die ÖVPler tun; ich vermute, dass sich das zufällig entwickelt hat, ohne dass eine tiefere Bedeutung dahinter steckt.) Gerade die Schwarzen erwecken bei mir als Medienbeobachter oft den Eindruck, dass sie glauben, die Weisheit mit dem Löffel gefressen zu haben. Das wirkt sehr arrogant und befremdlich. Gerade dieser Absolutheitsanspruch macht die ÖVP mir unsympathisch. Dass gerade die ÖVP so ist, ist aber leicht zu erklären: Immerhin ist die ÖVP eine religiös geprägte Partei.

Die katholische Erziehung ist etwas, das ich nur aus Berichten anderer Personen kenne. Ich hatte ja das Glück, in einer nichtreligiösen Familie aufgewachsen zu sein. Durch das, was ich von anderen Menschen gehört habe, habe ich den Eindruck gewonnen, dass die katholische Erziehung sehr autoritär ist; man wird innerhalb einer gesellschaftlichen Hierarchie einer bestimmten Position zugeordnet und hat die jeweils übergeordnete Ebene zu respektieren; ein Hinterfragen oder gar In-Frage-Stellen der Meinungen, die die höheren Ebenen von sich geben (wobei sie oft einen Absolutheitsanspruch vertreten), ist nicht erwünscht.

Wenn man weiß, dass viele Menschen in diesem Lande so erzogen worden sind, dann versteht man vielleicht ein bisschen, warum sie dann als Erwachsene diesen Absolutheitsanspruch erheben. Ich lehne es aber ab, dass jemand über mich bestimmen darf, vor allem, wenn er sich nur auf so genannte "Wahrheiten" beruft und nicht zumindest teleologisch argumentiert. Dass man Kinder auf diese Weise erzieht, sehe ich noch ein, auch wenn ich es nicht für gut erachte; Erwachsenen sollte man aber schon genügend Vernunftbegabung und einen eigenen Willen zugestehen. (Im Prinzip sollte man das auch Kindern schon zugestehen.)

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