Einstellung zu Bildung und Studiendauer

Ich gehöre ja zu der Sorte von Menschen, die gerne ihr Wissen über verschiedene Bereiche erweitern, selbst wenn das Wissen nicht praktisch anwendbar zu sein scheint. Diese Einstellung teilen nicht alle. Mir sind schon einige Menschen begegnet, die Bildung nur als Mittel zum Zweck ansehen, Geld zu verdienen. Sie honorieren es oft gar nicht, wenn sich jemand nur des geistigen Horizonts wegen weiterbildet, und betrachten es als Zeitverschwendung. Zum Teil werfen sie solchen, die an Bildung interessiert sind, sogar unmoralisches Verhalten vor.

In diesem Zusammenhang muss ich sagen, dass ich während meiner Schulzeit, die ja auch schon über 12 Jahre her ist, einige Zeit lang regelmäßig "Die Presse" gelesen habe. Ein Studienkollege meinte später im Gespräch, die Ansicht, man solle nur das lernen, was man braucht, sei "kleinbürgerlich". Nun, "Die Presse" gilt bekanntlich als Qualitätszeitung. Aber wenn mein Studienkollege recht hat, dann ist sie äußerst kleinbürgerlich. Denn gerade "Die Presse" machte damals, zu Zeiten der schwarz-blauen Bundesregierung, stets Werbung dafür, möglichst schnell das Studium hinter sich zu bringen. Ich glaubte damals, dass es wohl notwendig wäre, zügig zu studieren, um später überhaupt einen Job zu bekommen. Das war für mich die Motivation, nicht nachlässig zu sein. Aber wenn man das Ganze rational betrachtet, dann stellt sich schon die Frage, was schnelles Studieren bringen soll.

Meines Erachtens ist es vor allem eine Forderung von Seiten des Arbeitgebers: Der Arbeitgeber möchte, aus welchem Grund auch immer, dass seine Mitarbeiter nicht allzu viel Zeit mit dem Studieren verbracht haben. Über die Gründe kann ich nur spekulieren, weil mir bis jetzt niemand schlüssig erklären konnte, warum Arbeitgeber anscheinend so denken. Offenbar ist es Arbeitgebern wichtig, dass die Mitarbeiter möglichst jung sind oder zumindest in möglichst niedrigem Alter ins Berufsleben einsteigen. Was könnte die Begründung hierfür ein? Zunächst fällt mir ein: In jungem Alter ist man oft noch unverheiratet; vielleicht ist das der Grund, denn als unverheirateter Mensch hat man weniger Verpflichtungen (Stichwort Kindererziehung). Somit kann man sich stärker auf das Arbeiten konzentrieren und häufiger Überstunden machen. Andererseits trifft man aber auch gerade die gegenteilige Forderung oft an: dass Mitarbeiter verheiratet sein sollten. Das lässt sich ebenfalls rational begründen: Wer in einer Ehe lebt und womöglich Kinder hat, hat großes Interesse an einem regelmäßigen Einkommen. Mehr als ein Junggeselle ist er also motiviert, beständig einer Arbeit nachzugehen. Denn der Junggeselle könnte sich auch mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten und längere Auszeiten einlegen.

Es gibt also sowohl Gründe, die für einen unverheirateten Mitarbeiter sprechen, als auch solche, die für einen verheirateten Mitarbeiter sprechen. Eventuell haben Unternehmen unterschiedliche Präferenzen. Es könnte aber auch sein, dass die Forderung nach schnellem Studieren einen anderen Grund hat. Nur: welchen?

Vielleicht sind jüngere Menschen leistungsfähiger? Oder unbedarfter, so dass sie sich leichter über den Tisch ziehen lassen?

Ein anderes Argument wäre, dass eine kurze Studiendauer auch für gewisse Persönlichkeitseigenschaften spricht, wie etwa Zielstrebigkeit. Bei einem Langzeitstudenten könnte man ja seine Begabung generell anzweifeln, denn wieso hat er länger als notwendig gebraucht? Bei näherer Betrachtung werden diese Argumente aber hinfällig. Zielstrebigkeit ist nicht unbedingt eine wertvolle Eigenschaft; in der heutigen Zeit muss man eher flexibel sein, denn es kann alles anders kommen, als man vorgehabt hat. Der Studienabschluss ist im Grunde genommen das Letzte in einem normalen Leben eines modernen Menschen, das man einigermaßen genau planen kann. Auch muss jemand, der lange studiert hat, deswegen nicht unbegabt sein: Er könnte sich ja auch gründlicher mit dem Stoff befasst und eventuell sein Wissen über den eigentlichen Studienplan hinaus erweitert haben.

Wenn man versucht, aufgrund der Studiendauer auf die Motivation des Studierenden zu schließen, dann bin ich auch hierüber skeptisch. Sicher, wenn sich jemand mit dem Studium beeilt, könnte das ein Zeichen dafür sein, dass er noch viel vorhat. Oder einfach rasch in das Berufsleben einsteigen will, um Geld zu verdienen. Meiner Meinung nach ist die Studiendauer aber nur ein schwacher Indikator für die Motivation des Studierenden, im Berufsleben viel zu leisten.

Insgesamt halte ich die Studiendauer für ein äußerst schwaches Argument aus Sicht des Arbeitgebers bei der Entscheidung, warum man jemanden einstellen sollte. Mich würde sehr interessieren, wie es Personaler begründen, sollte für sie die Studiendauer tatsächlich entscheidend sein, wie die Lektüre der "Presse" nahelegt.

Aus Sicht des Studierenden ist das Bemühen darum, möglichst schnell das Studium hinter sich zu bringen, in erster Linie ein Stress auslösender Faktor. Wenn er wirklich darauf aus ist, sich zu beeilen, dann leidet unter Umständen die Qualität des Studiums darunter - er wird sich auf Pflichtfächer konzentrieren müssen und wahrscheinlich viele Wahl- und Vertiefungsfächer, die ihn vielleicht interessiert hätten, nicht belegen können. Ich glaube, dass Absolventen insgesamt besser ausgebildet sind, wenn sie die Möglichkeit hatten, ohne allzu starken Zeitdruck zu studieren und ihren Bildungsinteressen nachzugehen.

Manchmal frage ich mich, ob das Achten auf die Studiendauer als Auswahlkriterium von Mitarbeitern in erster Linie gedacht ist, um vor allem nur mittelmäßig bis schlecht ausgebildete Mitarbeiter zu bekommen, die ihr Studium mehr oder weniger pro forma absolviert haben und ihre eigentliche Berufsausbildung per "training on the job" bekommen. Das Studium wird in diesem Fall weniger als Berufsvor- bzw. Berufsausbildung betrachtet als als Selektionsinstrument, um bestimmte Leute (eben diejenigen, die keinen Studienabschluss vorweisen können) von vornherein ausschließen zu können. Wie man es auch betrachtet, mir erscheint es jedenfalls absurd, die Studiendauer als vorrangigstes Kriterium bei der Auswahl der Mitarbeiter zu gebrauchen.

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