Von der Scheinheiligkeit der ÖVPler

Ein Kollege von der Mensa versuchte unlängst, Professor Brauneder ins rechte Eck zu stellen. Dieser Mensa-Kollege ist ein strammer ÖVPler, dessen Vater durch die Partei Karriere gemacht hat. So gesehen, ist klar, dass er die Stellung der ÖVP um jeden Preis verteidigen möchte. Die gleiche Person hat übrigens auch behauptet, Bundeskanzler Kreisky, dem wir viel zu verdanken haben (vor allem unseren Wohlstand), sei eine "böse" Person gewesen. Da merkt man wieder, dass Gut und Böse relative Begriffe sind, die vom Standpunkt des Betrachters abhängen. Denn in meinen Augen ist eher die ÖVP die Partei des Bösen.

Wie man bei Brauneder lesen kann, regierte in Österreich nach 1945 eine Große Koalition. Diese Große Koalition trat die Verfassung mit den Füßen. In der Verfassung ist eine Gewaltenteilung vorgesehen; das Parlament beschließt die Gesetze, und die Regierung führt sie nur aus. Tatsächlich hat aber die ÖVP zusammen mit ihrem Koalitionspartner seit 1945 die Gesetze meistens in informellen Gremien beschlossen, auf Initiative der Regierung und von Personengruppierungen, die der Regierung nahe standen. Das Parlament wurde seines eigentlichen Sinne, das Volk zu vertreten, beraubt; es wurde nur mehr verwendet, um die bereits beschlossenen Gesetze offiziell für gültig zu erklären. Da es kein freies Mandat gab, sondern Fraktionszwang, konnte ein Abgeordneter nicht gegen ein Gesetz stimmen, wenn seine Partei darüber anderer Meinung war. Im Prinzip waren Abgeordnete nur Stimmvieh. Sie hatten nichts zu sagen. Die Parteispitzen entschieden, und an die Entscheidungen der Parteispitzen mussten sich alle halten. Mit einer liberalen Demokratie hatte das nichts mehr zu tun.

Da ist in meinen Augen nur verständlich, dass sich Brauneder der Freiheitlichen Partei Österreichs angeschlossen hat, um dieses System aufzubrechen und eine tatsächliche liberale Demokratie im Sinne der Verfassung, mit einer echten Gewaltenteilung, umzusetzen. Mit "rechtem" Gedankengut hat das nichts zu tun.

Brauneder widmet natürlich auch dem Ständestaat, der autoritären Alleinherrschaft der Vorgängerpartei der ÖVP unter den Bundeskanzlern Dollfuß und Schuschnigg, ein ausführliches Kapitel in seinem Buch über die "Österreichische Verfassungsgeschichte". Was ich daran besonders interessant fand: Immer wenn ein Posten zu besetzen war, dann erstellte eine Kommission einen Dreiervorschlag. Dann wurde abgestimmt, wer dieser drei Personen das Rennen machte.

Das kam mir doch irgendwie bekannt vor!

Tatsächlich erfolgt auch an Österreichs Universitäten - auch heute noch! - die Postenbesetzung oft nach diesem System, etwa bei der Rektorswahl. Man sieht also: An Österreichs Universitäten herrscht nach wie vor Austrofaschismus. Ich weiß, das ist logisch gesehen ein abduktiver Schluss, aber eine solche Art des Schließens ist ja eine Spezialität von uns Medizinern (und wir liegen damit nicht immer falsch).

Die Universitäten Österreichs sind verseucht mit Mitgliedern des Österreichischen Cartellverbands (CV), die Wissenschaftsminister hat schon seit Jahrzehnten fast durchgängig die ÖVP gestellt, und das passt alles gut dazu, was ich beobachtet habe: Wo die ÖVP das Sagen hat, herrschen anscheinend immer noch Strukturen wie zur Zeit des Austrofaschismus.

Das erkennt man aber auch an der Struktur der ÖVP selbst, mit ihren "Bünden", die ja im Prinzip (Arbeiter- und Angestelltenbund, Bauernbund, Wirtschaftsbund usw.) Berufsständen entsprechen. Die ÖVP selbst ist also nach wie vor ständestaatlich organisiert. Und wenn die ÖVP in Österreich die absolute Mehrheit hätte, dann wäre die Gefahr groß, dass wir bald wieder Verhältnisse wie zwischen 1933 und 1939 hätten, wo der Bundeskanzler autoritär regierte, es kein Parlament gab, das Konkordat mit der römisch-katholischen Kirche geschlossen wurde, die Todesstrafe praktiziert wurde und so weiter. Wehret den Anfängen!

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