"Den Lebensunterhalt verdienen"

Viele Menschen arbeiten, um sich ihren "Lebensunterhalt" zu verdienen - oder behaupten das zumindest. Auch wenn es vielleicht nicht in jedem Einzelfall stimmt, weil es sicher auch viele Leute gibt, die arbeiten, obwohl sie das Geld nicht unbedingt benötigen würden, um Miete und Nahrung zu bezahlen, so gibt es sicherlich doch Menschen, die wirklich arbeiten müssen, um zu überleben.

Ich frage mich manchmal schon, wie das Ganze aus moralischer Sicht zu betrachten ist. Sind diejenigen, die nicht arbeiten, es wirklich nicht wert zu leben? Das ist doch schon gefährlich nahe einer hierzulande verbotenen Ideologie, und es widerspricht auch unserer Bundesverfassung, in der (wenn ich richtig informiert bin) das Recht auf Leben garantiert ist - zumindest ist das eine liberale Grundforderung, und da wir (offiziell) in einer liberalen Demokratie leben (oder uns das zumindest in der Schule so gesagt wurde; wie ich inzwischen in Erfahrung gebracht habe, mag die Realität etwas anders aussehen, weil ich zum Beispiel festgestellt habe, dass die Religionsfreiheit - auch so ein liberales Grundrecht - hierzulande nicht in der Verfassung verankert sein dürfte), müsste der Staat eigentlich jedem Einwohner das Recht auf Leben garantieren.

Mag schon sein, dass es in früheren Zeiten so war, dass auch hier in Mitteleuropa Menschen täglich um ihr Überleben bangen mussten, aber heute? Verfügen wir, trotz des Schuldenbergs, nicht über genügend Mittel, um zumindest jedem das Überleben zu garantieren?

Möglicherweise klaffen Idealzustand und Realität aber durchaus auseinander. Es mag vieles anders sein, als es allgemein geglaubt und sogar an Schulen gelehrt wird. Als studierter Mediziner verfüge ich ja auch über einen Einblick in gewisse Bereiche des Lebens, in denen so manches anders ist, als man es sich gemeinhin vorstellt. Mediziner sind nett und menschenfreundlich? Nur im Schulbuch und in den Köpfen einfacher Leute. Aber darum geht es hier natürlich nicht.

Um ganz ehrlich zu sein, habe ich mich, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass ich früher eine Freundin mit einer leichten körperlichen Behinderung hatte (Lippen-Kiefer-Gaumenspalte), schon öfter gefragt, wo eigentlich die behinderten oder an einer Erbkrankheit leidenden Leute sind. Mir begegnen auf der Straße wirklich nur sehr selten Erwachsene, die einen der Phänotypen aufweisen, von denen ich im Studium gelernt habe. Vom Down-Syndrom beispielsweise ist einer von 300 Neugeborenen betroffen. Manchmal sieht man Kinder mit Down-Syndrom, aber Erwachsene? Erwachsene mit Down-Syndrom sehe ich sehr selten. Dabei versterben die Patienten keineswegs schon im Kindesalter, sondern haben zwar aufgrund eines angeborenen Herzfehlers eine verminderte Lebenserwartung, aber an die fünfzig Jahre werden sie schon alt. Meine Ex hat, als Betroffene, natürlich vor allem auf die Leute mit Lippenspalten geachtet; auch was diese Behinderung betrifft, hat sie diverse Kinder gekannt, die davon betroffen waren, aber kaum Erwachsene. Gut, man kann diese Entstellung zum Teil durch operative Maßnahmen korrigieren, aber nicht bei jedem. Wo sind diese Leute?

Um noch einmal zum Ausgangsthema zurückzukehren: Wenn man das Ganze aus darwinistischer Perspektive betrachtet, dann ist im Prinzip alles Leben Selektion. Mag schon sein, dass das nur natürlich ist, aber ob es gut ist - das wage ich zu bezweifeln. Sollten nicht Politik und Gesellschaft alles daran setzen, diese natürlichen Auslesevorgänge zu eliminieren, so dass jeder Mensch ein glückliches Leben führen kann, egal wie er von Natur aus sein mag? Manche werden auf diese Frage sicher antworten: nein. Mir ist schon klar: Natürliche Ausleseprozesse haben in der Vergangenheit eine große Rolle gespielt; durch diese Prozesse sind gewisse Menschengruppen zu dem geworden, was sie heute sind. Nur: Ich wage zu bezweifeln, dass das optimal sei. Ich bin eigentlich der Meinung, dass jeder die Möglichkeit haben sollte, so zu leben, wie er oder sie will, solange er oder sie niemand anderen in seiner Lebensführung grob beeinträchtigt. In der Vergangenheit war es halt immer so, dass diejenigen überlebt haben, die sich an die Umweltbedingungen (die nicht nur durch die Natur, sondern auch durch die menschliche Gesellschaft hervorgerufen wurden) am besten angepasst haben; alle Anderen sind zu Grunde gegangen. Das will ich aber nicht. Ich finde es eher reizvoll, eine Welt der Vielfalt zu haben; wie man sich denken kann, habe ich grundsätzlich auch kein Problem mit "Ausländern". Dass viele Menschen mit "Ausländern" ein Problem haben, scheint allerdings sehr wohl der Fall zu sein; ansonsten könnte man sich die Beliebtheit bestimmter politischer Parteien allenfalls dadurch erklären, dass diese in Opposition zu der (aus welchen Gründen auch immer) unbeliebten Regierung stehen. Vielleicht sind meine Ansichten auch naiv; mag sein, aber das heißt auch nicht unbedingt, dass die Gegenseite Recht haben muss. Für sachliche Diskussionen bin ich jedenfalls offen.

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