Denken und Wissen

Von Pädagogik habe ich zwar nicht so viel Ahnung, aber mir scheint es so zu sein, als hätte es in den letzten Jahrzehnten einen Trend in die Richtung gegeben, im Schulunterricht mehr auf kognitive Fähigkeiten (also aufs Denken) Wert zu legen und weniger auf reines Wissen (Auswendiglernen). Nutznießer dieser Umstellung war bereits ich. Das Medizinstudium stellte deswegen einen großen Kontrast für mich dar, weil es dort genau umgekehrt war. Man erkennt das deutlich an meinen Noten: Matura mit 1,0, Medizin-Doktorat mit 2,5. Dass ich nicht unbedingt blöder geworden bin, wird dadurch bewiesen, dass ich gleichzeitig mein Informatikstudium mit 1,5 abgeschlossen habe. Das Medizinstudium stellte eben ganz andere Anforderungen als alles Andere, das ich gemacht habe.

Ich fragte mich, warum das so ist, und hatte folgenden Einfall: Gerade in konservativen, religiös geprägten Gesellschaften wird das selbstständige Denken zum Teil sogar unterdrückt statt gefördert; wenn wirklich das durchschnittliche Intelligenzniveau in arabischen Ländern niedriger ist als hier in Europa, könnte das auch daran liegen. Und an der Medizin-Uni haben halt Konservative das Sagen. Wenn man ein bisschen recherchiert, kommt man schnell darauf, wie viele Professoren einen katholischen Hintergrund haben und im Cartellverband Mitglied sind.

Eigentlich schon merkwürdig, wenn zwar Gymnasiallehrer in moderner Pädagogik ausgebildet worden sind, Universitätsprofessoren aber nicht - oder zumindest den Trends nicht folgen.

Aber daran erkennt man auch, dass es selbst in einem Land unterschiedliche Milieus gibt. Ich habe ja auch Bekannte aus dem christlich-konservativen Umfeld; mich erstaunt immer wieder deren Autoritätsgläubigkeit, sogar bei Leuten, die schon wesentlich älter sind als ich. Sie glauben, es gäbe über alles und jedes "offizielle Meinungen", die man zu befolgen hätte. Blöd nur, dass das nicht der Realität entspricht. Zum Glück haben wir hierzulande so etwas wie Meinungsfreiheit - und auch die politischen Parteien und Religionsgemeinschaften, denen man eventuell angehört (ich gehöre derzeit weder einer Partei noch einer Religion an), haben nicht über alles vordefinierte Meinungen, denen man unbedingt folgen muss.

Meine Schule hatte einen sozialdemokratischen Direktor und viele durchaus progressiv eingestellte Lehrer (wobei "progressiv" in diesem Fall keineswegs bedeutet, dass sie nichts verlangt hätten - eher das Gegenteil). Ich bin also durch die Schule eher in progressivem Sinne erzogen worden. Dass an der Medizin-Uni ganz andere Sitten herrschten, war für mich ein gewaltiger Schock, der auch nur zum Teil dadurch gelindert wurde, dass ich aufgrund der konservativen Ansichten meines Vaters mit einigen dieser mir wesensfremden Betrachtungsweisen bereits bekannt war.

Ich erinnere mich noch gut, dass mein Vater mir, als ich Kind war, vorzuschreiben versuchte, wie ich zu sein, zu handeln und zu denken hätte - was bei mir nicht wirklich fruchtete, weil mir vieles von dem, was er sagte, völlig fremdartig erschien - oft nicht einmal logisch. Nun, als fast Dreißigjähriger, bin ich in der Situation, dass ich unlängst von einer Bekannten die Rückmeldung bekommen habe, dass ich ganz anders sei als alle Menschen, die sie kenne, sozusagen eine "eigene Rasse". Ja, das kann durchaus sein. Eine eigene, logisch konsistentere und tiefgründigere "Rasse" als die meisten Menschen, die man hierzulande und anderswo anzutreffen pflegt. Morgen habe ich dann meinen Geburtstag - da werden wir feiern, dass es diesen außergewöhnlichen Menschen gibt.

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