Im Geist der Aufklärung

Vor einigen hundert Jahren gab es eine Zeit, die sich Aufklärung nannte. Wir leben immer noch im Erbe dieser Zeit. Damals begann man, Normen und tradierte Meinungen zu hinterfragen, ja sogar in Frage zu stellen. Es entwickelte sich die rationale Wissenschaft, die auf Basis einer mehr oder weniger durchdachten Erkenntnistheorie zu mit möglichst großer Wahrscheinlichkeit richtigen Ergebnissen gelangte.

Auch heute noch wird von uns Menschen erwartet, dass wir kritisch sind und ja nichts einfach nur so glauben, weil es uns jemand sagt. Die ganze Erziehung folgt diesem kritischen Geist. Gerade deswegen werden analytische Fähigkeiten, auch Intelligenz genannt, so hoch gewertet. Sie erlauben es uns, zu richtigen Schlüssen zu kommen, vorausgesetzt, dass die Annahmen richtig sind. Das ganze Schulsystem ist darauf ausgelegt, in erster Linie Jugendliche zu selektieren, die in dieser Hinsicht besonders begabt sind.

Natürlich ist für diese Leute dann der Beruf des Wissenschaftlers sehr erstrebenswert, ermöglicht er doch, sich voll und ganz dem Erkenntnisgewinn zu widmen. Das ganze Wesen eines Akademikers ist es, nach theoretischem Wissen zu streben. All das Wissen, das er sich nicht durch Lesen von Büchern aneignen kann, versucht er, selbstständig zu erforschen. Immer nur geht es um das Mehren von Wissen. Jemand, der eher praktisch veranlagt ist, ist in diesem Sinne kein Akademiker.

Problematisch ist, dass im realen Leben nicht nur Akademiker dieser Art gebraucht werden und nicht jeder seinen Traum von einer wissenschaftlichen Laufbahn verwirklichen kann. Im realen Leben ist vieles noch so wie zu voraufklärerischen Zeiten. Was zählt, ist die Leistung, die man erbringt, um dem Ziel, Geld zu erwirtschaften, zu dienen. Da kommt es auf Bildung gar nicht so sehr an. Eher auf Fähigkeiten und Eigenschaften, die sich wirtschaftlich verwerten lassen.

Ein junger Mensch lebt aber ständig im Geiste der Aufklärung. Bis zu seiner Matura, bis zu seinem Studienabschluss ist er der Bildung verpflichtet. Erst danach ändert sich für viele radikal, was im Leben Priorität hat.

Es gibt immer mehr Menschen, die Matura machen und studieren. Allgemein besteht ein gesellschaftlicher Trend zu höherer Bildung. Man kann im Prinzip sagen, nur Asoziale, Ausländer und Minderbegabte verzichten auf ein Studium. Aber nur ein Teil der Studierten wird in seinem Erwerbsleben wirklich das in seinem Bildungsweg erworbene Wissen gebrauchen können.

Für mich stand immer fest, dass ich Akademiker sein würde - eine Alternative dazu war nie geplant. In Österreich entscheidet sich schon in sehr jungen Jahren, wer einmal studieren wird. Natürlich bin ich aufs Gymnasium gekommen, wohin denn auch sonst. Natürlich habe ich Matura gemacht und studiert. Keinesfalls wäre es möglich gewesen, dass ich mein Studium abgebrochen hätte. Was hätte ich denn sonst machen sollen? Ich war der geborene Akademiker. Wissenschaft ist meine Bestimmung. Ein anderer Lebensweg war für mich undenkbar.

Heute sitze ich im Büro und entwickle Software. In unserer Firma bin ich der Einzige, der sein Informatikstudium abgeschlossen hat. Nur wenig von dem Wissen, das ich erworben habe, setze ich in meinem beruflichen Alltag um. Dafür gibt es vieles, das ich lernen muss, bis ich genauso gut im Programmieren sein werde wie meine Kollegen. Aber mein Bildungsweg war nicht umsonst. In meiner Freizeit gehe ich meinen Wissenschaften nach, lese, schreibe, denke nach. Und produziere ständig neues Wissen. Meine Erkenntnisse veröffentliche ich, zwar nicht in einem wissenschaftlichen Journal, aber wenigstens so, dass sie für meine Bekannten leicht zugänglich sind. Ich bin ein echter Wissenschaftler im Geiste der Aufklärung. Das ist mein Wesen, das wird sich nicht ändern. Mein Beruf ist die Programmierung, die Wissenschaft meine Berufung. Wer weiß, was ich noch alles erschaffen werde. Und das ist gut so.

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