Computerwelt und Realität - Meine Jugend

Im Fernsehen laufen derzeit Sendungen über die österreichische Geschichte ab dem Jahr 1945. Ich sehe mir diese Sendungen gerne an, weil ich mich dafür interessiere, in was für einem Land ich eigentlich lebe. Die Eindrücke von der Armut, die nach dem Krieg hierzulande herrschte, sind für mich schockierend. Auch, wie viele Regelungen nur provisorisch beschlossen wurden und die Zukunft des Landes immer ungewiss blieb. Besonders beeindruckt hat mich, dass es nach dem Krieg ein Student war, Kurt Schubert, der die Wiener Universität neu organisiert hat und - ohne selbst offiziell beauftragt worden zu sein - einfach zu den ehemaligen Professoren gegangen ist und ihnen Ämter zugeteilt hat - "Du bist Dekan dieser Fakultät", "Du bist Dekan jener Fakultät" und so weiter. Dass in Österreich nach 1945 viele Dinge relativ informell und wahrscheinlich oft auch in einem rechtlichen Graubereich erfolgt sind, hat in meinen Augen auch ein neues Licht auf meine eigene Jugend geworfen.

Als Kind des Jahres 1983 war für mich der Krieg beinahe schon 40 Jahre her, als ich das Licht der Welt erblickte. Die Wunden, die der Krieg und alles damit Verbundene der Gesellschaft zugefügt hatten, wären wahrscheinlich dennoch deutlich zu erkennen gewesen, wenn ich mich dafür interessiert hätte. Für mich allerdings war die äußere Welt nur von geringem Interesse. Ich lebte gern in Fantasiewelten, las Comiczeitschriften und Kinderbücher, die von Märchenwelten handelten. Der Bezug zur Realität war für mich nicht offensichtlich, und er interessierte mich auch nicht.

Ich weiß nicht, ob ich nicht den Eindruck gewonnen hätte, dass das Leben als Ganzes langweilig sei, wenn ich nicht kurz vor meiner Einschulung mit der Computerei in Berührung gekommen wäre. Die Computerspiele gestatteten es nicht nur, passiv über Fantasiewelten zu erfahren, sondern aktiv in solche einzutauchen. Sie übten aus diesem Grund eine große Faszination auf mich aus. In weiterer Folge las ich intensiv Fachzeitschriften über Computer, vor allem solche über Computerspiele, und nahm selbst Stift und Papier in die Hand, um mir eigene Computerspiel-Welten auszudenken und zu skizzieren.

Als dann in mir der Wunsch erwachte, meine Ideen umzusetzen, fing ich endlich an, mir das Programmieren beizubringen. Es gab dazu seinerzeit Zeitschriften, die Einführungskurse enthielten, sowie Listings, die man einfach abtippen und ausführen konnte, um auf diese Weise zu lernen. In der Buchhandlung wurden zudem umfangreiche Bücher angeboten, die einen noch tiefergehenden Einstieg in die Materie ermöglichten.

Erst durch die Computerzeitschrift PC-Heimwerker, die ausschließlich aus von Lesern zugesandten Beiträgen bestand, kam ich als Elfjähriger in (brieflichen) Kontakt mit Gleichgesinnten; auf diese Weise lernte ich besonders viel dazu. Dann ergab es sich, dass mich ein Junge aus Ostdeutschland anschrieb, der gerne eine eigene elektronische Zeitschrift, ein Diskmag, herausgeben wollte, aber leider über keine Programmierkenntnisse verfügte. Damals war es noch notwendig, gut genug programmieren zu können, um eine eigene grafische Benutzeroberfläche zu entwickeln, wenn man eine elektronische Zeitschrift herausgeben wollte. Glücklicherweise verfügte ich bereits über diese Kenntnisse, und so konnte ich nach einer Programmierarbeit, die etwa ein Wochenende in Anspruch nahm, meinem neuen Brieffreund eine fertige Oberfläche präsentieren.

In weiterer Folge wurde ich Mitherausgeber dieser Zeitschrift, später alleiniger Herausgeber. Wie ich irgendwann las, darf man in Österreich per Gesetz eigentlich erst nach dem Erreichen der Volljährigkeit als Herausgeber einer Zeitschrift fungieren. Trotzdem wurde meine Tätigkeit toleriert. Hier liegt also die Verbindung zu den eingangs gemachten Bemerkungen vor, dass in Österreich vieles nicht so streng gehandhabt wird, wie es vielleicht in anderen Ländern der Fall wäre.

Die ganzen Jahre bis zu meiner Matura lebte ich dann in einer Welt der Freaks und Künstler, die entdeckt hatten, wie man die Computertechnik nutzen konnte, um kreativ tätig zu sein. Denn von dieser Welt handelte meine Zeitschrift. Über die reale Welt da draußen machte ich mir wenig Gedanken.

Heute muss ich mich notgedrungen auch mit der realen Welt beschäftigen, denn ich bin längst im Erwachsenenalter angekommen und werde wohl über kurz oder lang danach streben müssen, Geld zu verdienen, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten - ganz zu schweigen davon, dass vielleicht einmal eine Familie auf mich angewiesen sein wird.

Dabei hat gerade in den Neunziger Jahren, als ich mit meiner Zeitschrift anfing, die Computertechnik enorme Fortschritte gemacht. Insbesondere die Computergrafik, die davor eine rein akademische Disziplin gewesen war, war nun etwas, mit dem sich jeder normale Mensch, der daheim einen Computer stehen hatte, beschäftigen konnte. Deswegen wurden auf diesem Gebiet viele Fortschritte auch außerhalb von Universitäten gemacht. Hobbyisten und Autodidakten haben vor allem gezeigt, wie man bestimmte Algorithmen auch auf technisch noch relativ beschränkten Geräten umsetzen kann, so dass Dinge dargestellt werden konnten, die man nicht für möglich gehalten hatte.

Diese faszinierende Welt der Computer hat einen vergessen lassen, an die Welt da draußen zu denken.

Heute ist vieles, das in den Neunziger Jahren faszinierend wirkte, schon so alltäglich geworden, dass es kaum jemanden vom Hocker reißt. Ich frage mich auch, was die Jugend von heute fasziniert - das, was zu meiner Zeit die Jugend beschäftigte, ist es jedenfalls nicht mehr.

Dafür fangen Leute in meinem Alter - zumal wenn sie gebildet sind - wieder an, sich Gedanken über das Land zu machen, in dem sie leben; über den Krieg und seine Nachwirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft; wie sehr gewisse Vorurteile und Klischees immer noch das Zusammenleben der Menschen prägen; welche Herausforderungen das tägliche Leben bietet und in Zukunft bieten wird; wie sich die Gesellschaft gerechter gestalten ließe und ob das überhaupt möglich und erstrebenswert ist.

Eines steht jedenfalls fest: So schön wie manche Märchenwelten, die man als Kind kennen- und lieben gelernt hat, ist die Realität bei weitem nicht.

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